Welches Netz benötigt die vernetzte Milchkanne?
In Mobilfunkkreisen gibt es aktuell kein heisseres Thema als 5G. Mit der Aussage „Wir brauchen 5G an jeder Milchkanne“, hat der deutsche Entwicklungsminister diesem Netz auch eine konkrete Anwendung gegeben. Doch für welche Anwendungen eignet sich dieser neuste, von der Groupe Spécial Mobile (kurz: GSM) definierte Standard wirklich, und wo gibt es bereits heute bessere Alternativen?
Es ist unbestritten: Der 5G wird tiefgreifende Veränderungen bringen, neue Geschäftsfelder werden entstehen. Aber es gibt auch Widerstand für den laufenden Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes. Elektrosmog-Betroffene und viele weitere Gruppierungen befürchten gesundheitliche Probleme für die Bevölkerung wegen der stärkeren Strahlung von 5G. Behörden mehrerer Länder sehen in einzelnen Netzwerkausrüstern zudem ein (Sicherheits-) Risiko. Diese befürchten, dass die fremde Regierung via diese Ausrüster die eigene Infrastruktur infiltrieren könnte. Was in der Debatte vergessen geht: Für eine grosse Anzahl von Anwendungen welche bereits heute Realität sein können, braucht es das 5G nicht. Strahlungsärmere und günstigere Alternativen sind bereits da.
5G braucht es für selbstfahrende Fahrzeuge
In der wichtigen Debatte, bei welcher heute noch viele Fragen ungeklärt sind, geht ein Aspekt meist vergessen: Die deutlich leistungsfähigere 5G-Funktechnologie würde der Wirtschaft in erster Linie für selbstfahrende Fahrzeuge und Teilen der produzierenden Industrie, der Landwirtschaft, der Forschung oder der Medizin grosse Vorteile bringen. Für das autonome Fahren ist das 5G-Netz unbestritten unabdingbar. Wenn zum Beispiel ein vorausfahrendes Fahrzeug bremst, müssen Informationen blitzschnell durch die Netze fliessen und verarbeitet werden. Nur so kann das nachfolgende, selbstfahrende Fahrzeug rechtzeitig bremsen. Doch solch anspruchsvolle Anwendungen in Echtzeit dürften sich erst in fünf bis zehn Jahren im Markt etablieren. Viele juristische und technische Fragen sind beim autonomen Fahren noch ungeklärt. Was aber klar ist: 5G ermöglicht zum Beispiel in der Produktion eine adaptive Fertigung in Echtzeit. Sensoren, die ihre Informationen via 5G an einen anderen Standort senden, reagieren innerhalb von Millisekunden. So kann die Latenzzeit – die Zeit vom Auftreten einer Störung bis zur Reaktion – ausreichend kurzgehalten werden, um Schäden zu verhindern. Doch verlangen solche Anwendungen wirklich ein flächendeckendes Netz?
Braucht es 5G für die vernetzte Milchkanne?
Wichtiger für die Wirtschaft ist ein anderer Teil des sogenannten «Internets der Dinge», auf Englisch «Internet of Things» genannt. Fachleute sprechen auch von «IoT». Es ist die Vernetzung einer Vielzahl von Sensoren, Maschinen und Fahrzeugen, die mit dem Internet direkt oder indirekt verbunden sind. Es besteht im Wesentlichen aus Sensoren, einem Netzwerk, und einem System, das die Sensoren-Signale verarbeitet und bei Bedarf Aktionen auslöst. IoT ermöglicht bereits heute das Energiemanagement von Strassenlampen, eine raschere Parkplatzsuche oder die Überwachung der Kühlung bei Lebensmittel-Transporten. Solche Anwendungen bringen der Wirtschaft und der breiten Bevölkerung bereits heute einen Mehrwert. IoT ist ein Milliarden-Wachstumsmarkt und eine Chance für die Wirtschaft. Die US-Marktforschungsfirma Gartner schätzt, dass weltweit bis 2021 rund 25 Milliarden vernetzte Sensoren wertvolle Daten liefern werden.
Für viele Anwendungen braucht es keine «Ferrari»-Technologie
Fachleute streiten darüber, welches nun das beste IoT-Netz für die mobile Vernetzung von Millionen von Dingen ist. Fakt ist: Eine Vielzahl der angebundenen Geräte müssen nur sporadisch kleine Datenmengen übertragen und benötigen eine sehr lange Batterieunabhängigkeit. Funkstandards wie WLAN, 3G/4G/5G und Bluetooth sind daher ungeeignet. Sie verbrauchen zu viel Energie, ihre Reichweite ist entweder zu gering oder die Vernetzung zu anfällig. Den finanzstarken 5G-Unterstützern stehen die Vertreter der sogenannten «0G-Initiative» gegenüber. Die Grundsteine der 0G-Funktechnologie wurden mit den sogenannten «Low Power Wide Area Networks» in den 90er-Jahren gelegt. Von Bedeutung ist das LoRaWAN-Netzwerk. Der offene LoRa-Standard wird von der LoRa-Allianz zusammengehalten, einer unabhängigen Non-Profit-Organisation von über 500 Industrie-Mitgliedern. LoRaWAN ist ein offener Standard und bietet auch Firmen einen freien Zugang zu Netzwerk-Technologie. Unternehmen können mit eigenen Sendern und Services eine Art Firmen-Netz auf dieser Technologie aufbauen. Eine einzige LoRa-Antenne kann viele Kilometer weit senden. Sensorgeräte im LoRa-Netzwerk funktionieren mit einer handelsüblichen Batterie oft über Jahre hinweg autonom.
Sigfox bietet Roaming und weniger Antennen-Wald
Einen anderen Ansatz verfolgt die französische Telekommunikationsfirma Sigfox. Sie hat die «0G»-Initiative ins Leben gerufen. Sigfox ist aktuell das erste und einzige Unternehmen, das weltweit Funkverbindungen für das Internet der Dinge anbietet. Die verwendete Infrastruktur ist völlig unabhängig von bereits bestehenden Mobilfunknetzen. Sigfox deckt weltweit bereits über 60 Länder ab. Ziel der 0G-Initiative ist es, über das eigene Netzwerk eine weltweite, einheitliche und länderübergreifende (Roaming-)Netzstruktur aufzubauen, in deren Mittelpunkt das IoT steht. Der Pluspunkt des Sigfox-Netzes: Eine ganze Stadt mit einem Radius von 10 Kilometer kann mit einer einzigen Basisstation abgedeckt werden. In Belgien deckt der 0G-Netzwerkbetrieb zum Beispiel das gesamte Land mit nur sieben Basisstationen ab. Die Unterstützung einer grossen Anzahl an Geräten ist aktuell ein weiterer Pluspunkt der 0G-Generation.
Fazit: Anwendungen die riesigen Datenmengen in Echtzeit austauschen müssen benötigen zweifelsfrei ein 5G Netz. IoT Anwendungen die Sensoren einsetzen, die eine hohe Autonomie brauchen, wie zum Beispiel in der Industrie, dem Verkehr oder auch in der Landwirtschaft, benötigen kein 5G. Auch für den Kühlschrank, der automatisch Joghurt-Nachschub bestellt, braucht es 5G nicht. Auch die vernetzte Milchkanne ist wohl im 0G-Netz besser aufgehoben.